Chris Tall: Darf Er Das? – Über Comedy unter der Gürtellinie

 

Comedian Chris Tall ist der Meinung “Ihr müsst mehr Witze machen. Über Behinderte, über Schwule, über Schwarze”, und legt dann selbst gleich los. Der Running-Gag seines Segments: “Darf er das?”. Meine Antwort: “Nein”.

Lange habe ich überlegt, ob ich diesen Artikel schreiben soll. Zu politisch, dachte ich mir. In Gesprächen mit Freunden und Bekannten habe ich schon gemerkt, dass nicht alle meine Meinung teilen. “Das ist doch nur Comedy”, wurde gesagt. “Man muss auch mal lachen können”. Die gleiche Argumentation wie auch Chris Tall sie anbringt. Wie ich in einem anderen Artikel schon einmal versucht habe zu erklären, ist es immer riskant, wenn ich etwas zu einem solchen Thema sage oder schreibe. “Ihr drück euch doch selbst in die Opferrolle”, heißt es dann. Wenn ich meine Meinung äußere, erfülle ich den amerikanischen “Angry Black Woman”-Stereotyp. Die “angry black woman”, die sich über alles beschwert und sich immer und überall benachteiligt fühlt. Aber ich schweige trotzdem nicht; ganz im Gegenteil.

Zurück zu Chris Tall und seinem Video. Er macht Witze über Rollstuhlfahrer, Schwule, Schwarze, Stotterer. “Es gibt nur eine Regel: Ihr müsst über euch selbst lachen können”, erklärt er. Theoretisch hat er recht. Über sich selbst sollte man am meisten lachen können. Außerdem ist es meiner Meinung nach auch völlig in Ordnung, Witze über “Randgruppen” (was für ein schrecklicher Begriff) zu machen, solange sie harmlos sind. Gegen Jokes wie “Ihr Schwarzen seht alle gleich aus”, sagt niemand etwas; darüber kann man lachen. (Meine Oma in Nigeria findet übrigens, dass alle Weißen gleich aussehen). Aber vermeintlich lustige Sprüche über Schwarze im Bezug auf Baumwolle? An der Sklaverei, wie auch am Holocaust, ist nichts amüsant.
Apropos Holocaust: ist es nicht interessant, dass er über Juden keine Witze macht? Das geht in Deutschland nicht – was auch absolut richtig so ist. Aber heißt das, dass es regionale Limits gibt? In Deutschland keine Judenwitze, in den USA keine Schwarzenwitze. Behinderten- und Schwulenwitze gehen überall? Nein, Chris Tall. Als weißer, gesunder, wahrscheinlich heterosexueller Mann, stehst du ganz oben auf der Gesellschaftspyramide. Ganz oben. Das ist eine wissenschaftliche Tatsache, über die es ganze Theorien, wie beispielsweise die Social Dominance Theory von Jim Sidanius und Felicia Pratto, gibt. Von dort oben ist es sicherlich einfach Witze über andere zu machen. Du solltest solche Jokes nicht mit in dein Programm nehmen. Niemand sollte das.

“Man muss alle gleich behandeln”, sagt Chris Tall in einem Interview mit Joiz. Ich verstehe seine Intention. Aber Witze im Bezug auf Schwarze Menschen und Baumwolle, und somit indirekt Witze über die Sklaverei zu machen und diese in einem gewissen Grad zu verharmlosen, hat nichts mit “gleich behandeln” zu tun. Ganz im Gegenteil.

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Was ist eure Meinung? Stimmt ihr Chris Tall zu, oder seid ihr der Meinung, dass man über bestimmte Dinge keine Witze machen sollte? Hinterlasst mir einen Kommentar oder schreibt eine E-Mail an info@helloblack.net.

8 Discussions on
“Chris Tall: Darf Er Das? – Über Comedy unter der Gürtellinie”
  • Sehr interessanter Post 🙂
    Ich habe den Auftritt in FB gesehen und fand ihn sehr witzig. Ich mag schwarzen Humor und bin Chris Tall’s Meinung.
    Natürlich kommt es aber auch drauf an wann und wo man solche Witze macht. Da braucht man einfach Feingefühl dafür. Bei einer Beerdigung oder an einem Judendenkmal sollte mal womöglich keine Witze reißen.
    Ich denke auch nicht, dass man mit solchen Witzen etwas verharmlost.
    Aber du hast im Grunde auch Recht. Man muss nicht alles lustig finden.

    LootieLoos plastic world

  • Hey Wakila,
    du ziehst deine Grenze bei der Baumwolle. Das Problem ist allerdings, dass jeder Mensch seine Grenze woanders zieht.
    Wichtig finde ich aber dass man den Humor in so vielen Dingen wie möglich findet, auch in Dingen, die eigentlich schlecht sind. Insassen der Todeszelle machen zum Beispiel oft Witze darüber, wenn bei der Durchführung etwas schief geht. Witzig finde ich das ganz und gar nicht, doch haben diese Menschen für sich einen Weg gefunden mit dem Schrecken umzugehen.

    Verurteile doch bitte die Menschen nicht, weil sie andere Grenzen haben als du. Indem du ihn verächtlich als die Spitze der Gesellschaft bezeichnest diskiminierst du ihn meiner Meinung nach auch irgendwie. Wenn Betroffene selbst solche Witze machen dürfen, warum dann nicht auch er? Schlileßlich kann er auch nichts dafür, dass er weiß ist, männlich und in Europa geboren. Bist du für Toleranz, dann solltest du auch tolerant gegenüber der Einstellung und der Grenzen anderer sein.

    Trotzdem super dass du deine Meinung öffentlich vertrittst und nicht hinterm Berg hältst. Mach weiter so!

    Alles Liebe
    Tina

  • Ich finde den Beitrag super und bin über Chris Tall’s Auftritt bei TV Total erst über den Blog aufmerksam geworden.

    Witze über “Randgruppen” sollten nur von denjenigen gemacht werden,die dazugehören bzw einen Bezug haben. Zum Beispiel: Kaya Yanar, Deutscher mit türkischen Wurzeln der sich über die türkische Gesellschaft lustig macht oder einen Kevin Hart,der das N-Wort mehrmals verwendet und einer der bekanntesten Afro-Amerikaner aus US-Komedie Szene ist.

    Wenn ein Chris Tall das N-Wort benutzen würde oder über einen Geh-Behinderten herziehen würde,der erstens sich diese Situation nicht ausgesucht hat und zweistens sich im Alltag einiges anhören muss (beabsichtigt oder unbeabsichtigt, auch der Afro-Deutsche oder Afrikaner-egal) würde mich das eher schokieren als unterhalten. Und der Hauptzweck von Comedy ist ja Unterhaltung.

    Daher stimmer ich dir zu, Wakila.

  • Hallo Wakila,

    ich habe seinen Auftritt ebenfalls gesehen und fand ihn ganz in Ordnung, aber auch nicht besonders witzig. Grundsätzlich würde ich mich Yonas aber anschließen und sagen, dass er Sklaverei an sich ja nicht direkt verharmlost hat. Beziehungsweise bin ich ein großer Fan davon, Humor und Einstellung zu differenzieren. Beispielsweise mag ich Wortspiele und Wortwitze und wenn ich einen Judenwitz höre, der gut umgesetzt ist oder überrascht, dann lache ich darüber, was allerdings auf keinen Fall bedeuten soll, dass ich den Holocaust lustig finde. Ganz im Gegenteil!!!!!
    Ich denke, es kommt auch immer ganz darauf an, in wessen Gesellschaft und in welcher Situation man ist. Ich erinnere mich an eine Klassenfahrt ins KZ und fand es furchtbar, als ein paar Mitschüler angefangen haben, dort ihre Witze zu machen. Das ist geschmacklos und ziemlich schwach.

    Ich hoffe, ich konnte meine Meinung dazu gut rüberbringen und dass du meinen Standpunkt dazu nachvollziehen kannst!

    Allerliebste Grüße,
    Julia

  • Hey,
    dein Post ist wirklich super. Ich finde die Message von Chris Tall erstmal richtig, man sollte über alles Lachen können und sich vor allem Selbst nicht allzu ernst nehmen. Witze über andere sind aber tatsächlich nur lustig, wenn das Gegenüber sie auch lustig findet. Und da gibt es gewisse Grenzen, egal ob Komedian oder nicht. Menschen können über vieles Lachen, aber schnell wird für viele aus einem Spaß doch Ernst und da sollte man es nicht übertreiben. Außerdem kommt es auch immer auf die Art und Weise an.
    Dein Beispiel mit den Juden hat aber auch bei mir Fragen aufgeworfen. Sklavenarbeit ist ebenfalls ein schlimmes Thema, aber darf man jetzt Witze darüber machen, weil es länger zurückliegt als der Holocaust? Schließlich wurden die Menschen ausgebeutet und misshandelt.
    Chris Tall darf in meinen Augen Witze über alles machen. Aber nur im privaten Bereich. In der Öffentlichkeit muss man genau überlegen, was man von sich gibt und eben die Grenzen der Menschen respektieren.
    Liebst, Katja
    http://amoureuxee.blogspot.de
    PS: Wenn du dich darüber aufregst, fällst du für mich gar nicht in dieses Klischee. Wenn ich das sagen darf, durch deine Hautfarbe wird es für mich eher spannend deine Meinung zu hören.

  • Hey Wakila,

    Ich kann deinen Post absolut nachvollziehen. (zumindest aus deinem Standpunkt aus, als “Woman of color”). Jedoch bin ich ganz anderer Meinung. Da ich ja selbst zu einer “Randgruppe” zugehöre (Ich hasse dieses Wort), kann ich nur von meinem Empfinden sprechen. Ich finde es wichtig, das man sich selbst ab und an nicht ernst nimmt. Die Argumentation, er würde sich indirekt über die Sklaverei lustig machen, ist nicht abstreitbar. Dennoch bin ich der Meinung das man sich nicht immer gleich ans Bein gepisst fühlen muss. (was du ja klar deklariert hast, das du dich nicht ans Bein gepisst fühlst :D) Natürlich hat jeder Mensch eine andere Auffassung von Humor, ich für meinen Teil liebe “Schwulenwitze”. Unglaublich amüsant. (Bianca Del Rio is my queen) Das er durch seine Baumwollwitze Sklaverei verharmlost, finde ich dagegen ziemlich vage formuliert. Weil er hat ja immerhin nicht gesagt “war ja nicht so schlimm” oder “es hat ja keinen gestoert” oder irgendwas in die Richtung. Ich würde das absolut unterschreiben, wenn dies der Fall wäre. Aber hier geht es wie schon oben geschrieben um eine spezielle Art von Humor, die nicht jedem liegt. Meine Mutter findet z. B. meinen Humor aeußerst komisch. Zu seiner “Hauptfrage” ob er das darf, muss ich ihm recht geben. Ja er darf das, ob es von jedem als gut empfunden wird, ist ne andere Sache. Ich finde es eh immer schwierig Menschen zu be-/ verurteilen aufgrund dem, was sie machen oder sagen, besonders in seinem Fall, da es ja sein “Beruf” ist. Bezüglich des Tabus von dem Holocaust: South Park zum Beispiel nimmt da keinen Blatt vor den Mund. Das ist das non plus ultra im Sinne von “Humor ohne Grenzen” – und ich finde es witzig!

    Die Kategorisierung von “geht” und “geht gar nicht” (wie das Kommentar über mir) hängt immer total vom persönlichen Empfinden ab. Ich fühle mich jetzt nicht als schlechter Mensch wenn ich über den Witz mit der Baumwolle lachen würde oder jeden anderen Witz. Es macht mich auch nicht zum schlechten Menschen, ich habe genug Bekannte und Freunde die zu “Randgruppen” angehören, die das nicht verstehen. Aber hey, zum Glück ist jeder Mensch anders ^^

    Nicole Arbour ist auch ein gutes Beispiel, in ihrem Video “Dear Black People” werden viele Sachen angesprochen, die ich ohne zu zögern unterschreiben würde. Andere wiederum nicht. Alles Ansichtssache. Aber was ich immer ganz schlimm finde, ist dieses “white people” and “black people”, also die klare Unterscheidung zwischen zwei Hautfarben. Deine Hautfarbe definiert nicht wer du bist, genauso wenig definiert meine Sexualität wer ich bin. Ich finde es u.a auch schade, das es Rassismus auch von “schwarzen” gegenüber “weissen” gibt und das halt nicht präsent ist.

    Aber genug davon, ich wollte eigentlich was für die Uni machen lol
    xx
    Yonas (Don’t kill me pls)

  • Hey 🙂 dein Post ist super!!! Und ich finde es vor allem super, dass du das hier einfach mal schreibst, weil Viel zu wenige wirklich nachdenken… ich muss zu geben so War es auch bei mir… ich hatte abends den tv nebenbei laufen und hab nur halb zu gehört. Somit auch nur halb seine Witze verstanden und gedacht hey gar nicht mal so schlecht… sich selbst nicht zu ernst nehmen, über sich selbst lachen… an sich auch gut aber du hast vollkommen recht, wenn man dann mal genau hin hört… leider nehmen wir heutzutage vieles nur noch oberflächlich wahr und merken gar nicht genau worüber wir gerade lachen…
    Wie gesagt, super Post und bitte mehr davon!!!

  • liebe wakila,
    ich finde es großartig das du diesen beitrag verfasst hast. ich habe das video vor einigen tagen gesehen, und hatte gleich ein mulmiges gefühl weil ich finde dass man keine witze darüber macht. ich stimme dir zu. kleine leichte witze sind okay aber witze die etwas mit sklaverei oder so zu tun haben gehen gar nich

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