Von innerer Utopie

Während ich auf meinem Bett sitze, Desperate Housewives gucke, und meinen Lieblingstee schlürfe, kommt in der Werbepause – die mal wieder viel zu lang ist – die Vorschau für eine neue Serie. Newtopia heißt sie. 15 Personen sollen eine Art neue Gesellschaft erschaffen, in der alles vermeintlich perfekt ist – wie in einer Utopie eben. Aber wollen wir das wirklich? Restlos glücklich sein?
photograph by LM Photography
In der ersten Sekunde mag man vielleicht denken “Natürlich, was ist das für eine blöde Frage?”. Aber schauen wir uns doch einmal um. Wir leben in einer Gesellschaft, in der es uns nicht gut gehen darf. Wenn man jemanden fragt: “Wie geht es dir?”, kommt als Antwort sehr selten zurück: “Sehr gut, danke”. Und sollte doch einmal jemand so antworten, stellt sich mit meinem Stirnrunzeln die Frage: “Wie kann die Person es wagen, so glücklich zu sein?” Viel öfter hören wir als Antwort auf die Frage wie es einem geht: “Joa, es geht…” und “Muss, ne…” und “Hach ja, geht es einem wirklich jemals gut?”. Wir sind Menschen, und Menschen lieben es, sich zu beklagen. Abgesehen davon, dass eine utopische Welt nicht erreichbar ist, glaube ich nicht, das wir – die Menschen in der heutigen Gesellschaft – überhaupt in einer Utopie leben wollen würden. Wir wären unzufrieden damit, und somit wäre diese Welt, von der reinen Terminologie her, schon keine Utopie mehr.
Natürlich spreche ich nicht von Dingen wie Welthunger, Kriegen und anderen schrecklichen Angelegenheiten, die leider Teil des Lebens vieler Menschen sind. Ich gehe davon aus, dass so ziemlich jeder Mensch diese Probleme beseitigt haben möchte. Nein, ich rede von den kleinen bis mittel-großen Sorgen, die jeder mit sich rumschleppt. Ist es nicht so, dass es uns manchmal schlecht gehen muss, damit wir wahrnehmen wenn es uns gut geht? Ist es nicht so, dass man manchmal Freunde und geliebte Personen aus dem Leben streichen muss, um sich für neue Freundschaften und Beziehungen zu öffnen? Ist es nicht so, dass man hinfallen muss, um wieder aufzustehen und weiter zu machen?
Nein, ich denke nicht, dass wir in einer Welt leben möchten, oder gar könnten, in der wir uns nicht mit unseren kleinen Problemen rumzuschlagen haben. Wir brauchen diese Probleme um weiter zu kommen und daraus zu lernen. Um Ziele zu erreichen und zu wachsen. Dieser Traum von einer inneren Utopie, der Traum von einem perfekten Selbst und perfekten, sorglosen Leben, wird hoffentlich, wenn wir unsere persönlichen Ziele erreichen wollen, genau das bleiben: ein Traum.EN: While I’m sitting on my bed, watching Desperate Houewives and sipping my favorite tea, the commercial break comes on and they show a preview of a new tv show: Newtopia. It is about 15 people who are going to start a kind of new perfect society – like a utopia. But do we really want that? To be completely and utterly happy?
At first one might think: “Of course! What kind of question is that?” But let’s take a closer look. When we ask someone how they are, we seldomly get the answer: “I’m great, thanks!” And even if we do, some might think: “How dare he be completely happy with himself?” We much rather hear answers like “I’m okay” and other empty phrases. We are human beings, and humans love to complain. Apart from the fact that a utopian society is a goal one cannot really reach, I don’t think that we would
want to reach it. We would be unhappy with a perfect life, so it wouldn’t be a utopia anymore.
Of course I am not talking about things like poverty, hunger, wars and other horrible things many people have to deal with; I am sure that we all want those things gone. No, I am talking about minor problems in our lives that we all have to deal with. Don’t we have to feel bad first before we realize we are feeling good? Don’t we have to get rid of the bad people in our lives to appreciate the good ones? Don’t we have to fall before we can stand up and move on?
No, I don’t think we want to – or even can – live in a world free of our little problems. We need those problems to learn from, We need them to grow and reach our goals. That dream of an inner utopia, the dream of a perfect self and a perfect, easy life, will hopefully, if we want to come far in life, forever be just that: a dream.
5 Discussions on
“Von innerer Utopie”
  • Richtig toll geschrieben, meine Liebe! Ich kann dir da nur zustimmen, ich würde auch nicht in einer perfekten Welt leben wollen. Vor Allem, da man aus Fehlern lernt. Wie soll man sich denn ohne Fehler und Probleme weiterentwickeln?

    Und vielen Dank für dein Kommentar, du hast es wieder auf den Punkt gebracht 🙂

    Allerliebste Grüße,
    Julia

  • Ich stimme mit dir überein, der Weg zur Utopie das Ziel. So banal und übergeordnet der Satz klingt, so wahr ist er auch. Wenn wir schon längst in einer Utopie angekommen sind, bräuchten wir doch über die Hälfte der Jobs nicht mehr, wir müssten nicht mehr täglich aufstehen, um die Welt ein Stückchen besser und einfacher zu machen. Und damit meine ich nicht die "großen Weltveränderer", sondern jeden Job, dem man nachgeht. Man freut sich über die kleinen Dinge, wenn einem etwas gelingt, doch wenn man schon alles erreicht hat, worüber kann man sich dann noch freuen? Jedes gesetzte Ziel, wird beim Erreichen nur ein Meilenstein zu einem anderen, und dabei muss der Weg nicht streng gerade sein.
    Sehr schön, wenn Du solche Texte bloggst!
    alleblub

  • da habe ich noch nie so drüber nachgedacht, aber es stimmt wirklich. wir wollen nicht, dass es wir 100% glücklich sind. Ich liebe es übrigens wenn du solche texte schreibst!

    LG, Tina

  • da stimme ich dir absolut zu, ich glaub auch nicht das wir so glücklich wären. wir beschweren uns alle gerne mal über unser leben. du hast übrigens einen wunderschönen schreibstil!

  • Mich haben deine Worte wirklich zum nachdenken angeregt, da ich dir wirklich zustimmen würde. Ich weiß noch wie komisch mich die Menschen angeschaut haben, als ich letztens erst einen neuen Lebensabschnitt begonnen habe. Alle haben gefragt: "Gefällt es dir?" Und ich habe geantwortet: "Sehr sogar, bis jetzt finde ich es toll." Stirnrunzeln und ein verdutztes: "Oh echt? Schön.. " Da wurde mir bewusst, dass keiner mit einem "Gut" auf ein "Wie gehts?" oder ähnlichem rechnet. Im Gegenteil. Sie finden es merkwürdig, wenn sich mal einer NICHT beschwert.

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