Diversity Month | Über Flüchtlingspolitik und Willkommenskultur

Heute gibt es einen relevanten Beirag zum Thema Flüchtlinge von der lieben Tina Carrot von amour de soi. Gerade im Moment ist das Thema sehr wichtig – wenn auch sehr kontrovers – umso schöner finde ich es, dass Tina es anspricht. 

Unter dem Post findet ihr alle Links zu Tina’s Social Medias; schaut euch ihren wunderschönen Blog auf jeden Fall an!
Ich bin eigentlich nicht Tina Carrot, sondern
heiße Kristina. Schon immer musste ich meinen Nachnamen immer zwei Mal öfter
buchstabieren als meine deutschen Freunde und wurde oft von älteren Menschen
dafür gelobt wie gut doch mein Deutsch sei, obwohl meine Eltern seit den
1970ern hier in Deutschland leben, ich hier geboren bin und einen
Hochschulabschluss anstrebe.

Am Tag meiner Einschulung war ich sehr, sehr
aufgeregt. Ich kann ein äußerst schüchterner Mensch sein, vor allem wenn ich
nicht genau weiß, was da auf mich zukommt. Ein Glück habe ich noch bevor die
Ansprache des Schuldirektors anfing vertraute Gesichter aus der Vorschule
gesehen, zudem habe ich mich direkt mit einem Mädchen angefreundet, die mit
ihren Eltern neben meinen saß. So wie Kinder eben schnell Freundschaften
schließen. Nach der Rede gingen wir alle mit unseren Tornistern und Schultüten
nach oben ins Klassenzimmer und setzten uns an Vierer-Tische. Ich saß mit
meiner neuen Freundin und zwei weitere Jungs an einer Tischgruppe. Unsere Klassenlehrerin
bat uns darum, dass wir uns an den Tischen miteinander bekannt machen und uns
ein wenig vorstellen. Schon als ich meinen (für manche so unaussprechlichen)
Nachnamen nicht ganz aus dem Mund hatte, bremste mich einer der Jungs und
fragte forsch woher der denn sei, “der ist ja nicht deutsch!”. Ich
fuhr fort und erzählte, dass meine Eltern aus dem Ex-Jugoslawien sind und dass
der Name daher kommt. Prompt prustete es aus ihm heraus “Aha, du bist also
ein Flüchtling!” und auch der andere Junge schaute mich direkt ganz
erschrocken an als wäre ich eine Außerirdische. Ich versuchte mich noch
irgendwie zu erklären, ich wusste zwar nicht wirklich was ein Flüchtling ist,
aber ich spürte, in welchem Ton er das sagte und dass ein Flüchtling etwas
Schlechtes sein musste. Etwas wofür man sich wohl schämen sollte. An den
weiteren Gesprächsverlauf erinnere ich mich zwar nicht mehr aber ich weiß, dass
der Junge und ich die ganzen vier Jahre lang keine Freunde mehr geworden sind.
Ich wusste damals nicht was ein Flüchtling ist.
Zwar herrschte in der Heimat meiner Eltern Krieg und großes Chaos, auch meine
(dort lebende) Familie war betroffen, aber meine Eltern versuchten anscheinend
all das von mir fern zu halten. Heute finde ich auch, dass es Dinge gibt, die
man einem fünfjährigen Kind nicht anvertrauen sollte. Wie grausam das Leben
sein kann, wie unbarmherzig Kriege sind und wie leicht es manchen fällt das
Lebenslicht mancher Menschen so unmenschlich zu löschen. Und trotzdem fragte
ich nach meinem ersten Schultag meinen Vater was denn ein
“Flüchtling” sei. Nach unserem Gespräch sammelte ich Anziehsachen,
die mir nicht mehr passten oder gefielen sowie auch Spielzeug in gelben Säcken
und mein Papa brachte sie in den Keller. Ein paar Wochen später waren dann die
heiß ersehnten Herbstferien angebrochen und zusammen mit meinen Eltern fuhr ich
das allererste Mal in meinem Leben, da davor ja Krieg herrschte und meine
Eltern verständlicherweise dann nicht dahinfahren wollten, in das Dorf, welches
meine Eltern nach ihrer Hochzeit in den 1970ern verlassen haben. Ich kann mich
noch sehr gut daran erinnern, dass ein anderes Mädchen dort ein Kuscheltier von
mir direkt ins Herz geschlossen hat.
Und wie das Leitmotiv in einem Roman, so begleitet
mich auch seitdem das Thema “Flüchtlinge” immer wieder in meinem
Leben. Eine sehr, sehr gute Freundin von mir ist in den 1990er Jahren zusammen
mit ihren Eltern nach Deutschland geflohen, ich kenne ihre Geschichte und
allein der Gedanke daran lässt einen erschüttern. Immer wieder liest und hört
man in den Medien von Flüchtlingen, die auf See elendig sterben, da ihr Schiff
kentert. Hört Politiker über die “richtige” Flüchtlingspolitik
sprechen, über Quotenregelungen.
Und dann hörte ich eine Kollegin, die sich
lautstark darüber beschwerte, dass in unmittelbarer Nachbarschaft zu ihr
“Flüchtlingscontainer” aufgestellt werden. Wie solle sie denn nun
abends beruhigt nach Hause kommen, sie muss doch Angst haben überfallen zu
werden. Man stimmte ihr zu. “Und wo sollen Flüchtlinge sonst aufgenommen
werden, wenn nicht in unmittelbarer Nähe zu anderen Menschen?”, fragte
ich.
Flüchtlinge sind keine wilden Tiere, die man
wegsperren sollte. Kein Ungeziefer, das man vernichten sollte. Nicht
unerwünscht. Flüchtlinge sind Menschen, die in ihrem Leben wahrscheinlich mehr
Leid erleben mussten, als jeder, der diesen Text hier liest, jemals erleiden
wird. Gemäß der Genfer Flüchtlingskonvention gilt ein Flüchtling als Person,
die “aus der begründeten Furcht vor Verfolgung ihrer Rasse, Religion,
Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen
ihrer persönlichen Überzeugung” in einem anderen Staat Zuflucht sucht. Was
sich hier so trocken liest sind in Wahrheit furchtbare Schicksale, tiefe Wunden
in den Seelen der Menschen und oft auch unendliche Dankbarkeit dafür, dass man
“seinem Schicksal” entflohen ist. Gerade wenn man sich diese
Wahrheiten vor Augen führt fällt es mir noch schwerer Verständnis für die meist
irrationalen Ängste zu zeigen. Immer wieder bin ich verwundert über die
Ablehnung, die die deutsche Aufnahme von Flüchtlingen anscheinend erhält.

Seit jeher ist Deutschland
ein Land der Einwanderung und Integration – ganz gleich ob man hier an die
Aufnahme vieler polnischer und russischer Bürger, den großen Ansturm von
türkischen, italienischen und jugoslawischen Gastarbeitern oder an den
Mauerfall denkt. Rückblickend sehe ich bei all diesen Wellen keine negativen
Aspekte im Vordergrund stehen. Ich sehe Menschen, die sich Lebensträume erfüllt
haben, ihren Familien ein besseres Leben ermöglichen konnten und auch ihre
Nachbarn mit ihrer Kultur bereichert haben. Zwar ist die Situation von
Flüchtlingen die Asyl suchen nicht gleichzustellen mit der einer Einwanderung,
aber das richtige Handling ist das gleiche: Empathie und Integration. Gerade
die Asylsuchenden sind in einer noch schwierigeren Lage – oft gezeichnet von
dem Leid, welches sie ertragen mussten, in einem Land, welches so ganz anders
ist als ihre Heimat und einer Sprache, die sie nicht verstehen, in der sie sich
nicht ausdrücken können. Gerade diesem Personenkreis muss man doch schon aus
menschenfreundlicher Gesinnung positiv und mitfühlend entgegen treten – dies
zeichnet uns doch als Menschen, als Gesellschaft aus. Denn die Gesellschaft ist
nur so stark, so gut, so lebenswert, wie sie sich gegenüber ihren schwächsten
Mitgliedern verhält. Und genau das wünsche ich mir, eine lebenswerte
Gesellschaft, in der nicht zuerst verurteilt wird, sondern in der man für den
anderen einsteht – egal welche Hautfarbe er hat, welcher Ethnie oder welcher
Religion er zugehörig ist. In der man für sich einen positiven Mehrwert aus dem
Austausch mit anderen – auch fremden – Kulturen herleitet. In der man nicht
zuerst nur über die eigenen meist irrationalen Ängste nachdenkt, sondern auch
das große Ganze zu schätzen weiß.
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